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Skalierbare Geschäftsmodelle: Vom Wachstum getragen oder zum Wachstum verdammt?
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Wenn du an deinem Geschäftsmodell arbeitest, wird dir irgendwann die Frage begegnen: Ist dein Geschäftsmodell skalierbar?
Man könnte meinen, Skalierbarkeit sei zum wichtigsten Erfolgskriterium für Gründer*innen und Startups geworden. Es werden sehr viele Hoffnungen darauf gesetzt. Skalieren ist zum Fetisch der Gründerszene geworden.
Was steckt hinter diesem Fetisch? Zunächst bedeutet Skalierbarkeit, dass ein Geschäftsmodell das Potenzial für eine starke Expansion hat, ohne dass der Aufwand dafür in gleichem Maße steigt. Ein Schiff, das 2000 Container transportieren kann, ist in Bau und Unterhaltung nicht doppelt so teuer, wie eines mit einer Kapazität von 1000 Containern. Das heißt: Je größer das Schiff, umso geringer die Frachtkosten pro Container.
Noch attraktiver sind die Skaleneffekte dann, wenn viele Prozesse automatisierbar sind, oder sich das Geschäft komplett online abwickeln lässt. Deshalb gilt: Je digitaler, umso skalierbarer. Wenn du einen Webshop betreibst ist es egal, ob 10 oder 100 Bestellungen eintreffen, oder die Kundschaft tagsüber oder nachts auf kaufen klickt.
Im Unterschied dazu beruhen nicht skalierbare Geschäftsmodelle im Kern darauf, dass Zeit gegen Geld getauscht wird. Als Friseur*in widmest du allen Kund*innen einen Teil deiner Arbeitszeit und wirst dafür bezahlt. Jede/r weitere Kund*in beansprucht den immer gleichen neuen Arbeitseinsatz. Wachstum ist möglich, aber der Aufwand steigt im gleichen Maße. Und weil deine Arbeitszeit begrenzt ist, kann auch das Wachstum nicht durch die Decke schießen. Du kannst deine Zeit nur einmal verkaufen. Das gleiche gilt für Bäcker, Berater, Automechaniker oder Zahnärzte.
Der Vorteil skalierbarer Geschäftsmodelle liegt also auf der Hand. Eine Garantie für Erfolg ist Skalierbarkeit aber trotzdem nicht. In der Praxis ist es sogar häufig das Wachstum selbst, das Probleme macht. Denn die Wachstumsmöglichkeit eines Geschäftsmodells ist das eine, die Wachstumsfähigkeit des realen Unternehmens etwas anderes. Wachstum ist eine große Chance, aber auch eine ebenso große Herausforderung. Ist dein Webshop erfolgreich und die Zahl der Bestellungen schnellt auf 100 pro Tag, kannst du deinen Vertrieb vielleicht noch alleine im eigenen Wohnzimmer abwickeln. Für den nächsten Wachstumsschritt brauchst du dann schon ein Lager und Mitarbeiter*innen.
Planst du zu klein, läuft ein Teil des möglichen Geschäfts an dir vorbei und du kannst die Skaleneffekte nicht vollständig nutzen. Planst du zu groß, kann dein Unternehmen in Schieflage geraten, weil sich die getätigten Investitionen erst weit in der Zukunft auszahlen – wenn überhaupt. Die positive Wachstumsaussicht verkehrt sich ins Gegenteil: Ab jetzt bist du zum Wachstum verdammt.
Es gibt unzählige Beispiele von skalierenden Unternehmen, die mit enormen Anfangsinvestitionen Märkte aufrollen, ohne jemals in die Gewinnzone zu kommen. Der Grund dafür ist häufig, dass die zugrundeliegenden Geschäftsmodelle leicht kopierbar sind und deshalb alles darauf abzielt, einen Markt möglichst schnell, möglichst vollständig zu besetzen. Lieferdienste im ruinösen Verdrängungskampf sind nur ein Beispiel dafür.
Die Kunst besteht also darin, nachhaltig zu wachsen. Im Idealfall so, dass mit steigenden Umsätzen und Erträgen weiteres Wachstum finanziert werden kann.
Wie kann man es schaffen, vom Wachstum getragen zu werden, statt zum Wachstum verdammt zu sein?
Drei Strategien für nachhaltiges Wachstum:
1.: Eine gute Möglichkeit bietet die „Komponentengründung“. Das von Günter Faltin entwickelte Konzept versteht Unternehmen als Baukästen unterschiedlicher Leistungen. Nicht jede dieser Leistungskomponenten muss aber im Unternehmen selbst erbracht werden. Bei der Komponentengründung werden deshalb gezielt die Bereiche identifiziert, die sich outsourcen oder zusammen mit strategischen Partnern erledigen lassen. Das senkt die Anfangsinvestitionen, verwandelt Fixkosten in variable Kosten und hält das Unternehmen flexibel.
2.: Eine weitere Möglichkeit besteht darin, nicht schon im ersten Schritt der Gründung den gesamten geplanten Produktumfang anzubieten, sondern erst langsam zu entwickeln. Die Gründer des maschinellen Online-Übersetzers „DeepL“ sind so vorgegangen. Zunächst betrieben sie unter dem Namen „Linguee“ eine Suchmaschine für Übersetzungen im Internet. Geld verdienten sie mit der qualitativen Bewertung und Verbesserung der Ergebnisse. Gleichzeitig entstand eine umfangreiche Sammlung von Übersetzungsdaten. Die wiederum dienten als Trainingsmaterial für das selbst entwickelte Volltextübersetzungsprogramm DeepL. DeepL ist ein selbstlernendes neuronales Netzwerk. Das eine Geschäftsmodell lieferte also den Rohstoff für das zweite. Auf nennenswerte Investitionen von außen konnte das Startup verzichten. Das Wachstum wurde aus Eigenmitteln finanziert.
3.: Auch mit „Co-Creation“ lassen sich Wachstumsrisiken begrenzen. Dabei wird eine klar definierte Kundschafts-Zielgruppe angesprochen und in die Produktentwicklung eingebunden. Das Startup „MindModel“ etwa entwickelte zusammen mit 10 Planungsbüros Standardlösungen für die Digitalisierung von Bauplanungen. Ohne die Zusammenarbeit mit diesen Planungsbüros wäre die Entwicklung deutlich teurer und praxisferner ausgefallen. Jetzt stehen die Standardprodukte auch weiteren Architekt*innen und Planer*innen zur Verfügung und werden an die jeweiligen Kundschaftsbedürfnisse angepasst. MindModels Gründer Ulrich Schneidt berichtet auf der Gründerplattform über seine Strategie und die positiven Folgen.
Vom Wachstum profitieren kann ein Unternehmen nur, wenn es gelingt, das Wachstum zu organisieren. Das bedeutet konkret, zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle zu behalten. Manchmal kann es sogar sinnvoll sein, Wachstumschancen ungenutzt zu lassen, wenn sie die Nachhaltigkeit der Unternehmensentwicklung bedrohen.
Kurzporträt Autor
Dr. Jan Evers ist einer der Geschäftsführer der Business Pilot GmbH. Sie entwickelt und betreibt die neue Gründerplattform. Die Plattform zielt darauf, durch digitale Prozesse das Gründen in Deutschland einfacher zu machen. Das Bundeswirtschaftsministerium und die KfW sind Initiatoren des Projektes.
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