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Nuventura – Kampf dem SF6 Treibhausgas
© © Rolf Schulten
In aller Kürze: Was ist eure Unternehmensidee?
In vielen Schaltanlagen unseres Stromnetzes wird ein sehr starkes Treibhausgas eingesetzt: SF6.
Wir haben die weltweit erste gasisolierte Mittelspannungsschaltanlage bis 36 kV entwickelt, die dieses Treibhausgas durch Luft ersetzt und dabei alle Vorteile von SF6-Anlagen beibehält bzw. übertrifft. Unser Ziel ist es, SF6 vollständig aus elektrischen Netzen zu entfernen.
Welche Mission verfolgt ihr? Auf welche Weise leistet ihr einen positiven Beitrag für die Umwelt oder Gesellschaft?
SF6 ist das stärkste Treibhausgas, das es gibt. 1 Kilogramm SF6 entspricht dem Effekt von 23.500 kg CO2. Zudem hat SF6 keine natürliche Senke, das heißt seine Anreicherung in der Atmosphäre ist irreversibel. Ohne effektive Entsorgungsmethoden wird erwartet, dass große Teile des produzierten SF6-Inventars letztendlich in die Atmosphäre gelangen. Bereits heute entsprechen die tatsächlichen jährlichen Emissionen von SF6 den jährlichen CO2-Emissionen von etwa 100 Millionen Autos.
Die Energiewirtschaft ist der größte Abnehmer von SF6 (80%). Mittelspannungsschaltanlagen verbrauchen davon jährlich etwa 4.480 t SF6. Dies entspricht über 100 Millionen Tonnen C02. Da der Markt für gasisolierte Schaltanlagen bis 2023 voraussichtlich um circa 10% wachsen wird, wird sich das Problem noch verschärfen.
Mit unserer Technologie kann dies vermieden werden. Wir haben eine Technologie für eine gasisolierte Schaltanlage entwickelt, die SF6 durch trockene Luft ersetzt und somit eine vollständig umweltfreundliche und nachhaltige Alternative zur momentan angewendeten SF6-Technik darstellt und darüber hinaus weitere Vorteile bietet.
© Nuventura
Wie kam euch die Idee zur Gründung?
Der Gründer, Manjunath Ramesh, beschäftigte sich bereits im Studium eingehend mit Schaltanlagen, veröffentlichte seine Abschlussarbeit zu dem Thema und stellte seine Ergebnisse auf verschiedenen Konferenzen vor. Später arbeitete er für Schneider Electric, wo er sich auf Mittelspannungsschaltanlagen und grüne Technologie spezialisierte. Mit seinem Wissen fing er an, gasisolierte Mittelspannungsschaltanlagen in ihre grundlegendsten Komponenten zu zerlegen und auf viel einfachere Weise umzubauen. So fand er die Lösung, trockene Luft als alternatives Isoliermedium zu nutzen und dabei die etablierten Anforderungen an Bauraum, Sicherheit und Verlässlichkeit beibehalten zu können.
In Berlin traf er Nikolaus Thomale und später Dr. Fabian Lemke, die ihm bei der Gründung von Nuventura fortan zur Seite standen und seitdem das Start-up als Mitgründer mit ihm aufbauen.
Wie sieht euer Geschäftsmodell aus?
Wir konzentrieren uns auf unsere Stärke: die Entwicklung von innovativer Technologie im Bereich Schaltanlagen zur Reduzierung des Treibhausgases SF6.
Unser Geschäftsmodell basiert daher auf einem Lizenzmodell: Wir lizensieren unsere Technologie an bewährte und erfahrene Schaltanlagenhersteller und erheben dafür Gebühren. Diese decken den Technologiezugang sowie Provisionen auf Grundlage der produzierten Menge ab. Dieser Ansatz führt nach unserer Überzeugung schneller zur Verbreitung der Technologie als der Aufbau einer eigenen Produktion. Zudem ist der Kapitalbedarf deutlich geringer.
Unsere Zielkunden sind die weltweit führenden Schaltanlagenhersteller. Heute arbeiten ungefähr 200 Schaltanlagenhersteller mit Lizenzen, die von den sehr wenigen Herstellern vergeben werden, die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen betreiben. Aufgrund eines beschränkten Zugangs zu den neuesten Entwicklungen, beziehungsweise eines sehr großen Investitionsaufwands, wird diesen Herstellern jedoch ein großes Marktpotenzial verwehrt. Nuventura ändert dies durch das schlanke Lizenzmodell.
Was ist euer Alleinstellungsmerkmal?
Wir sind weltweit das einzige Unternehmen, das eine gasisolierte Schaltanlage für die gesamte Mittelspannungsebene (12-36kV) anbietet und dabei trockene Luft statt SF6 zur Isolation verwendet. Unsere Technologie schützt Betreiber vor den bevorstehenden Verordnungen zu SF6 (bis hin zu dem möglichen Verbot für Neuinstallationen ab voraussichtlich 2022 in der EU).
Darüber hinaus ist unsere Technologie die einzige, die wichtige Internet-of-Things-Funktionen ermöglicht: SF6-basierte Schaltanlagen müssen für 30 Jahre hermetisch verschlossen werden. Es unmöglich, Sensoren innerhalb der hermetisch verschlossenen Behälter zu installieren, die diese Zeit überdauern und gleichzeitig Signale aus dem Behälter liefern können. Die Technologie von Nuventura bietet durch die Vermeidung von SF6 jedoch diese Möglichkeit. Sensoren können innerhalb der Schaltanlage installiert werden, um kontinuierlich Zustandsdaten zu kritischen Betriebsparametern zu sammeln. Dies ermöglicht eine präventive und prädiktive Auswertung zur Vermeidung von Störungen, Ausfällen und zur Planung von Wartungsarbeiten.
Gibt es bestimmte Herausforderungen speziell in eurer Branche?
Eine sehr große Herausforderung ist für uns die Lobbyarbeit von multinationalen Unternehmen, die sich gegen schärfere Regeln oder gar ein Verbot zur Verwendung von SF6 in Mittelspannungsschaltanlagen aktiv einsetzen und dementsprechend Skepsis zu neuen Ansätzen streuen.
Darüber hinaus ist die Gründung eines Start-ups im Bereich der Energie-Hardware an sich sehr kapitalintensiv. So werden aufgrund der großen Relevanz der Energieversorgung für die Gesellschaft beispielsweise sehr teure Zertifizierungen und Tests (ähnlich der Crash-Tests für PKWs) verlangt, die die Anfangsinvestitionen vor Markteintritt sehr stark erhöhen.
Die Branche ist zudem konservativ, was zu noch längeren Anlaufzeiten führen könnte, als es bei Hardware-Start-ups ohnehin erwartet wird. Wir hoffen, dem durch Pilot-Projekte mit Netzbetreibern begegnen zu können. Wir gehen davon aus, dass Erfahrung mit unserer Technologie Vertrauen schafft und damit die Grundlage für die Nachfrage nach unseren neuen Technologien bildet.
Wie sieht eure langfristige Vision aus?
Wir möchten Nuventuras Technologie in der ganzen Welt verfügbar machen. Das geht nur, wenn wir unsere Technologie allen Herstellern zur Verfügung stellen. Darauf ist unser Geschäftsmodell ausgerichtet. Wir sehen uns daher als Forschungs- und Entwicklungszentrum für alle Hersteller von Schaltanlagen. In 5 Jahren werden wir unser Portfolio auf die gesamte Mittelspannungsebene ausgeweitet haben, sodass es für alle Anwendungsfälle eine SF6-freie Alternative gibt.
Die Industrie wird uns als den Innovationstreiber im Bereich Schaltanlagen sehen. Dabei bleiben wir agil und möglichst schlank, indem wir eine eigene Produktion bewusst vermeiden.
Ihr habt den StartGreen Award 2018 in der Kategorie „Start-Up“ gewonnen, herzlichen Glückwunsch. Welche Bedeutung hat das für Euch?
Die Branche, in der wir arbeiten, ist eher konservativ, daher stehen wir vor vielen Herausforderungen. Die StartGreen Auszeichnung ist für uns sehr wichtig, da sie zeigt, dass wir unterstützt werden und nicht allein auf unserer Mission sind.
Obwohl SF6 das stärkste Treibhausgas der Welt ist, wird es medial kaum erwähnt und selbst von Klimaschutzorganisationen wenig thematisiert. Dies erstaunt umso mehr, da die jährlich generierten Emissionen mit einem Äquivalent von circa 200 Millionen Tonnen CO2 (davon über 100 Millionen Tonnen durch Mittelspannungsschaltanlagen) substanziell sind. Wir sind davon überzeugt, dass das SF6 Problem kurzfristig (5-10 Jahre) lösbar ist, durch Plattformen wie den StartGreen Award, die für mehr Öffentlichkeit sorgen.
Der StartGreen Award war und ist eine fantastische Gelegenheit, Zugang zum StartGreen-Netzwerk zu erhalten. Die Gespräche mit Investoren, Förderinstitutionen und politischen Entscheidungsträger sind ein enormer Schub in unserem Kampf gegen den Klimawandel und SF6.
