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Genossenschaftlich zur Energiewende aus Bürgerhand
© © Bürgerwerke eG
Kaum ein Bereich der Energiewende findet in der Öffentlichkeit so viel Beachtung, wie die Stromwende. Der Wandel von einer fossilen zu einer regenerativen Energieversorgung wird sogar von vielen Bürgern selbst getragen. Denn gegenüber großen Energieversorgern, die mit komplexen Konzernstrukturen nur träge auf die neuen Anforderungen am Energiemarkt reagieren, entwickeln, bauen und betreiben Bürgerenergie-Bewegungen im ganzen Land eigene Solar-, Wasser- und Windkraftanlagen.
Im Vergleich zur alten, von Energieriesen dominierten Energiewelt, hat diese sogenannte Bürgerwende viele Vorteile. So verteilt sie das Risiko und die Kosten des Ausbaus der Erneuerbaren auf viele Schultern und schafft gleichzeitig regionale Werte. Denn die Gewinne aus den Anlagen fließen in die jeweiligen Kommunen, Kreise oder Gemeinden zurück. Bis heute konnten so schon über 900 Energiegenossenschaften mehr als 1,2 Milliarden Euro in Solar- und Windkraftwerke investieren.
Ein weiterer Vorteil: Beteiligen sich viele Bürger an nachhaltigen Wirtschaftsprozessen, steigt die Akzeptanz gegenüber der Energiewende. Nach einer Studie des Instituts für Zukunfts-Energie-Systeme führt das sogar zu einem wachsenden bürgerschaftlichen Engagement, also dem Interesse vieler Bürger, selbst etwas für die Energiewende zu tun.
Geht es um die Vermarktung des selbst erzeugten Stroms, stehen viele Energiegenossenschaften aber vor einer großen Herausforderung. Denn den dafür notwendigen Aufwand für Organisation, Versorgung und Kundenservice können sie mit begrenzten Budgets oft nicht leisten.
Mit den Bürgerwerken wurde im Jahr 2013 ein Unternehmen gegründet, das regionale Energiegenossenschaften genau in diesen Punkten unterstützt und Menschen in ganz Deutschland mit erneuerbarem Bürgerstrom versorgt. Das Besondere daran: Als eigene Genossenschaft sind die Bürgerwerke ausschließlich im Besitz der beteiligten Bürger. Im Interview berichtet Christopher Holzem, Leiter für Marketing & Öffentlichkeitsarbeit bei den Bürgerwerken, über die Erfahrungen im Aufbau der Genossenschaft, die Ziele der Bürgerwerke und die Herausforderungen im politischen Spannungsfeld der Energiewende.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, die zahlreichen Bürgerenergie-Genossenschaften in Deutschland zu unterstützen?
Über 90 Prozent der Menschen in Deutschland sprechen sich für eine schnelle Energiewende aus. Mit dem Bezug von erneuerbarem Strom aus der eigenen Region planen sie dabei nicht nur die Energiewende voranzutreiben, sondern auch unabhängig von der alten Energiewirtschaft zu werden.
Dieser Hintergrund und der Wunsch, den Klimawandel zu stoppen, hat dazu geführt, dass Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland damit begonnen haben, ihre eigenen Energiegenossenschaften zu gründen. Mit dem Ziel, die Kräfte dieser Bürgerenergie-Bewegung zu bündeln und gemeinsam mehr zu erreichen, sind aus neun der dabei entstandenen Bürgerenergie-Genossenschaften die Bürgerwerke hervorgegangen.
Während wir im Gründungsjahr 2013 noch wenige hundert Menschen vereinten, sind wir heute bereits mehr als 10.000 Menschen aus 60 Energiegenossenschaften, die alle von einer gemeinsamen Vision angetrieben werden: Den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben und eine nachhaltige Energiezukunft zu schaffen.
Mit dieser Gemeinschaft aus Bürgerinnen und Bürgern versorgen wir Haushalte in ganz Deutschland mit regional erzeugtem Strom aus Solar-, Wind- und Wasserkraft. Anders als bei sonstigen Strom-Anbietern, hinter denen oft große Unternehmen und Großaktionäre stehen, kann dabei wirklich jeder ein Teil von uns werden. Sogar dann, wenn er eigentlich kein Mitglied in einer Energiegenossenschaft ist. Deshalb nennen wir unseren Ökostrom auch Bürgerstrom.
Vor allem im Umfeld vieler Start-ups ist die Genossenschaft eine eher seltenere Unternehmensform. Warum kam eine Andere für euch nicht in Frage?
Unser Ziel war es, eine große Gemeinschaft möglichst gut abzubilden und dabei die demokratische Idee, die wir uns auch für die Energiewende wünschen, praktisch umzusetzen. Im Vergleich zu anderen Start-ups unterscheidet sich die Genossenschaft dabei für die Gründer deutlich zu GmbHs oder AGs. Denn diese können selbst keine Anteile halten. Das hat im Umkehrschluss aber den Effekt, dass alle Menschen die bei und mit den Bürgerwerken arbeiten, auch mit einer hohen Motivation für die Sache an sich dabei sind. Im Zentrum steht nicht das schnelle Geld, sondern das Umsetzen der gemeinsamen Vision: eine erneuerbare Energieversorgung in Bürgerhand.
Darüber hinaus bietet die Genossenschaft die Möglichkeiten, eine Gemeinschaft basisdemokratisch zu organisieren und ihren Mitgliedern echte Teilhabe zu geben. Bisher haben wir damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Ein Beispiel dafür war unsere letzte Generalversammlung: Da kamen Vertreter der über 10.000 Energiebürger zusammen, haben gemeinsam über die Weiterentwicklung der Bürgerwerke diskutiert, Entscheidungen getroffen und echte Energiedemokratie gelebt. Sowohl für die Teilnehmer als auch für uns als Team unserer „Dezentrale“ – so nennen wir die Bürgerwerke-Geschäftsstelle in Heidelberg – war das unglaublich inspirierend und beflügelnd.
Jenseits des Energiesektors hat die Genossenschaft eher ein etwas angestaubtes Image. Dass sich das in Zukunft aber ändern könnte, zeigt die wachsende Anzahl sogenannter Genopreneure – Unternehmer, die wie wir auf ein gemeinschaftliches Denken wertlegen – und vor allem in den Kreisen des sozialen Unternehmertums zu finden sind.
Mit den Bürgerwerken befindet ihr euch politisch in einem angespannten Bereich. Welche besonderen Herausforderungen musstet ihr dabei bis heute bewältigen?
Für die Energiewende in Bürgerhand ist die Versorgung mit Ökostrom ein wichtiger Baustein. Um den Ausbau der Erneuerbaren weiter voranzutreiben und das 100-Prozent-Ziel möglichst schnell zu erreichen, wollen wir natürlich neue Energieanlagen bauen und Energieprojekte im Strom‑, Wärme- und Mobilitätsbereich umsetzen. Genau das ist im aktuellen politischen Kontext aber ziemlich schwierig. Denn die Steine, die uns diesbezüglich von der Bundesregierung in den Weg gelegt werden, führen eher zu einem Rückgang des wichtigen bürgerschaftlichen Engagements. Die aktuelle EEG-Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes ist dafür das beste Beispiel. Hier wurde gerade vom Bundestag eine Vollbremsung beim Ausbau der Erneuerbaren beschlossen – aus unserer Sicht völlig unverständlich und entgegen aller Klimaziele.
Unser Lösungsansatz ist es, Menschen zusammenzuführen, sie an konkreten Gemeinschaftsprojekten zu beteiligen und dabei auch von den vielen Vorteilen der Energiewende zu überzeugen. Darüber hinaus arbeiten wir aktiv daran, Bürgerinnen und Bürger für die Versorgung mit Bürgerenergie zu begeistern. Denn neben den bekannten Ökostrom-Vorteilen, wie einer besseren CO2-Bilanz, wird die Bürgerwerke-Gemeinschaft durch immer mehr Unterstützer zunehmend unabhängig von politischen Rahmenbedingungen. Das heißt ganz konkret, dass wir in Zukunft Anlagen auch ohne Einspeisevergütung wirtschaftlich betreiben wollen. Das war übrigens auch eine unserer Gründungsmotivationen.
Eine der größten Herausforderungen während der Gründungsphase der Bürgerwerke waren die hohen gesetzlichen Anforderungen. Denn als Energieversorger befinden wir uns heute in einem besonders hoch regulierten Umfeld, in dem viele Verpflichtungen zu erfüllen sind. Das war zu Beginn zwar sehr aufwändig, diese Phase konnte inzwischen aber erfolgreich gemeistert werden.
Wie schätzt ihr die Auswirkungen der Bürgerwende auf Energie- und Klimawandel ein? Können regionale Bürgerenergie-Projekte dazu beitragen, die Klimaziele der Regierung einzuhalten?
Ja, ohne jeden Zweifel! Denn mit der Energiewende und dem Klimawandel stehen wir vor Herausforderungen, die nur dann zu bewältigen sind, wenn alle an einem Strang ziehen.
Nach den Diskussionen der letzten Monate um die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes erwarten wir von Politik und Energiewirtschaft nicht viel Unterstützung. Ganz im Gegenteil glauben wir, dass Forderungen, wie die nach begrenzten Ausbaukorridoren für erneuerbare Energien, das Erreichen der Pariser Klimaziele klar behindern. Nicht nur in Deutschland brauchen wir daher eine Bürgerenergie-Bewegung, die von unten kommt und zeigt, wie die Energiewende funktionieren kann. Mit unserer Arbeit tragen wir dazu bei, dass die engagierten Bürger der Energiegenossenschaften nicht ausgebremst werden und die Energiewende wie gewohnt selbst mitgestalten können – für das Erreichen der in Paris beschlossenen Klimaziele.
Darüber hinaus ist die Bürgerwende aber auch ein Akzeptanztreiber, ohne den die heutigen Entwicklungen der Energiewende kaum denkbar wären. Denn sie ermöglicht allen Bürgerinnen und Bürgern, sich in einem offenen Dialog aktiv am Geschehen in der eigenen Region zu beteiligen. Das nimmt nicht nur Ängste gegenüber unbekannten Technologien, sondern stärkt sogar das bürgerschaftliche Engagement.
In den Regionen selbst können wir mit der Energieversorgung aus Bürgerhand sogar noch mehr leisten. Denn die Gewinne aus den Bürgerstromanlagen fließen nicht in die Hände großer Energiekonzerne, sondern in die der Region. Und genau in diesen tragen sie dazu bei, die Bürgerwende zu gestalten. Auch damit liefern wir ein motivierendes Argument für die erneuerbaren Energien.
Bis zum großen Ziel einer 100 % erneuerbaren Energieversorgung ist es noch ein weiter Weg und die Bürgerwerke-Gemeinschaft wird ihr Bestes geben, dieses Ziel tatkräftig zu unterstützen. Um eine spürbare Wirkung zu haben, muss die Bewegung weiter wachsen und viele Menschen von der Vision begeistern. Das Schöne daran: Jeder kann einfach mitmachen. Deshalb kann ich die „Start-Green“-Leser nur dazu einladen, sich mit erneuerbarem Bürgerstrom zu versorgen und so die Energiewende in Bürgerhand zu unterstützen.
Mehr zu den Bürgerwerken finden Sie hier.
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