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Crowdfunding ist ein Vollzeitjob
© © Bearprotein
Biolebensmittel aus Insekten für die ganze Familie - das ist die Mission des Start-ups Bearprotein aus Berlin, Halbfinalisten des #SGA17. StartGreen sprach mit Gründer Marcus Fiedrich über die Tücken der Novel-Food-Verordnung, Produkttests in der Konzeptphase und die Finanzierung durch die Crowd.
Seit Juli ist euer Riegel INSTINCT in verschiedenen Berliner Bio-Supermärkten erhältlich (Bio-Company und Basic Bio). Wie sieht bisher die Nachfrage nach Insektenriegeln in Deutschland aus?
Die Nachfrage ist der Wahnsinn, die können wir gar nicht bedienen. Theoretisch könnten wir seit Tag eins ausverkauft sein. Momentan haben unsere Insektensnacks eine Lieferzeit von 2 Monaten. Wir beziehen die Snacks derzeit noch aus Kanada, denn nur dort bekommt man sie in Bioqualität – was uns sehr am Herzen liegt. Die Tatsache, dass es bislang nur wenige Lebensmittel mit Insekten in Deutschland auf dem Markt gibt, befeuert zusätzlich die Nachfrage. Viele sind jetzt neugierig auf eine exotische Erweiterung des Speiseplans. Wir bringen diese Exotik mit unseren Snacks in eine ansprechende Form. Das macht es leichter, Menschen von den gesundheitlichen Vorzügen von Produkten aus Insekten zu überzeugen. In-sekten enthalten viel Eiweiß, etwa 2,5-mal mehr als Rindfleisch und alle essentiellen Aminosäuren. Au-ßerdem sind sie reich an Eisen und dem Vitamin B12.
Ihr habt euch 2017 gegründet und seid noch frisch in der Gründerszene. Was sind bisher die größten Herausforderungen in eurer Branche?
Der Import von Insekten und allgemein von Lebensmitteln nach Europa ist eine echte Herausforderung. Unser Antrag beim Veterinäramt umfasste mehr als 600 Seiten. Inzwischen haben wir die offizielle Erlaubnis, Insekten in Snacks europaweit zu vertreiben.
Wir importieren unsere Insekten aus Kanada. Seit die EU die Gesetze dazu überarbeitet hat werden inzwischen zwar auch in Europa Insekten gezüchtet, zum Beispiel in Finnland und den Niederlanden. In Kanada hat man aber schon jahrelang Erfahrungen sammeln können, deshalb ist die Qualität dort auch höher. Biozertifizierte Ware ist aus europäischer Produktion aktuell nicht zu bekommen, da kein Betrieb über eine Zertifizierung verfügt. Noch entscheidender für uns war aber, dass die Insekten in den europäischen Farmen in Plastikcontainern gezüchtet werden. Die Tiere können sich durch Plastik hindurchfressen, durch meinen eigenen Experimentalzüchtungen am Anfang unseres Projektes konnte ich das mehrfach beobachten. Das heißt, die Tiere verdauen das Plastik dann auch. Das halten wir für problematisch und nicht tragbar für unsere Produkte.
Zu Jahresbeginn hat die EU Kommission die Novel-Food-Verordnung überarbeitet, sodass ab sofort der Genehmigungsprozess für Lebensmittel mit Insekten schneller und unkomplizierter ablaufen soll. Wie habt ihr das erlebt?
Bisher ziemlich gut. Da wir bereits im letzten Jahr auf dem Markt aktiv waren, fallen wir mit unseren Produkten in die Übergangsregulierung und können unsere Snacks regulär anbieten. Ansonsten stellt man als Unternehmen einen Antrag bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für eine bestimmte Art von Insekt und kann dieses nach der Bewilligung legal anbieten. Da die Anträge nicht für einzelne Unternehmen gelten, profitieren alle von diesen Anträgen.
Beim Konsum von Insektenlebensmitteln und der gesellschaftlichen „Implementierung“ gibt es große Unterschiede zwischen den europäischen Ländern. Vorreiter ist die Schweiz, wo die vier wichtigsten Insektenarten zugelassen sind und in verarbeiteter Form in den Supermärkten angeboten werden. Auch Länder wie Finnland, Dänemark, Belgien und die Niederlande sind beim Thema Insekten Deutschland weit voraus.
Um die Akzeptanz der Verbraucher zu erhöhen und zugleich die Behörden mitzunehmen, tun sich europaweit inzwischen Unternehmen und Organisationen zusammen und launchen richtige Kampagnen. In Finnland zum Beispiel wurde durch eine Allianz aus Herstellern und Organisationen Insektenprodukte in großen Mengen auf den Markt gebracht. Auch in entlegenen Gebieten konnte man sie kaufen, z.B. an Tankstellen. Dadurch kamen mehr als 80 Prozent der finnischen Bevölkerung in den Genuss von Insektenprodukten. Das schafft in kurzer Zeit einen echten Imagewandel. Dafür haben wir als Start-up nicht genug Manpower und Reichweite. Wir hoffen aber, in Zukunft an solch einer Initiative mitwirken zu können.
Welche Mission verfolgt ihr? Auf welche Weise leistet ihr einen positiven Beitrag für die Umwelt?
Unser Ziel ist es, dass die Leute gern Insekten essen und diese als hochwertige Lebensmittel wahrnehmen. Biolebensmittel mit Insekten für die ganze Familie, das ist unsere Mission.
Insekten sind sehr nachhaltig. Sie brauchen weniger Ressourcen wie Wasser, Futtermittel, Landfläche. Bei ihrer Produktion entsteht weniger CO2. Bonus: Wer unter Allergien oder Unverträglichkeiten leidet, kann unser Produkt unbeschwert genießen. Unsere Riegel schmecken ein bisschen nach Nuss, ohne dass sie Nüsse enthalten. Zusätzlich sind sie auch noch gluten- und laktosefrei und enthalten keinen Kristallzucker. Der perfekte Snack für bewusste Esser.
Vor zwei, drei Jahren gab es bei vielen Leuten noch extreme Vorbehalte. Das Thema Insekten assoziierten die meisten mit dem Dschungelcamp. Insbesondere die Boulevardmedien überschlugen sich mit Horrorgeschichten. Das ist jetzt auf jeden Fall anders. Unser Problem ist, dass die Produktvielfalt insgesamt noch zu gering ist. Es gibt Insektenriegel, Insektenburger, aber dann ist auch schon Schluss. Mit zwei, drei Produkten gibt es keine Revolution. Wir hoffen deshalb, dass noch mehr Unternehmen und Organisationen auf den Zug aufspringen und den Markt gestalten. Konkurrenz belebt schließlich das Geschäft.
2017 habt ihr am StartGreen Award teilgenommen. Welchen Mehrwert hat die Teilnahme an Wettbewerben für Bearprotein?
Wir nehmen sehr gern an Wettbewerben teil, weil uns das Feedback in unserer Arbeit weiterbringt. Vor allem bringt es Aufmerksamkeit. Gerade bei unserem Thema ist es wichtig, dass die Menschen über unsere Produkte reden, nicht nur oberflächlich über enen vermeintlichen Trend.
Welche Tipps habt ihr für die diesjährigen Bewerberinnen und Bewerber des StartGreen Awards?
Natürlich ist es für ein Start-up mit 28.000 Facebookfans leichter, Aufmerksamkeit zu generieren. Das gilt nicht nur für den StartGreen Award, sondern zum Beispiel auch bei der Suche nach Finanzierung. Deshalb sollte man Communitypflege nicht nur punktuell und quasi nebenbei betreiben, sondern täglich. Wir haben kürzlich ein Crowdfunding über StartNext laufen lassen. Da haben wir gemerkt, wie wichtig ein stabiles Netzwerk ist.
Crowdfunding ist jenseits vom Proof of Concept in meinen Augen nicht unbedingt erste Wahl für eine langfristige Finanzierung von Start-ups, zumindest in Deutschland. Dafür sind die eingesammelten Mittel in der Regel überschaubar. In den USA ist das ein anderes Thema. Die Professionalität beim Crowdfunding hat in den letzten Jahren enorm zugelegt. Früher reichte eine Ideenskizze. Heute erwartet die Crowd ein fertiges Produkt und eine aktive Medienarbeit auf allen Kanälen. Wenn man das richtig bespielen will, ist das ein Vollzeitjob.
Gründerinnen und Gründern im Bereich Food rate ich dringend, von Anfang an ihre Produkte mit potentiellen Kunden zu testen um auf diesem Weg mit der Zielgruppe ins Gespräch zu kommen. Wenn man im dunklen Keller eine Idee entwickelt und glaubt, dass das dann super funktionieren wird, riskiert man eine Bauchlandung. Es geht immer um die Frage ob das, was ich da mache auch das ist, was jemand hinterher kaufen will. Das ist die Kernfrage. Und die muss ich nicht nur Friends & Family stellen.
Und zu guter Letzt: wie sieht eure langfristige Vision für Bearprotein aus?
Wir wollen Insektenfarming nach Deutschland holen. Bislang gibt es hier keine Insektenfarm im Lebensmittelbereich, deshalb müssen wir unsere Insekten aus dem Ausland beziehen. Brandenburg wäre dafür ideal – da gibt es viel Platz und Arbeitsplätze würden geschaffen werden. Das sorgt dann auch für mehr Normalität im Umgang mit dem Thema. Wenn eine breite Palette von Produkten aus Insekten in den Supermärkten präsent ist, hat sich die Frage „Brauchen wir das überhaupt?“ ganz schnell erledigt. Das sieht man an anderen Beispielen wie Sushi oder Chiasamen – die gibt’s heute an jeder Ecke. Wir wollen raus aus der „Ekelzone“ und Insekten massentauglich machen.