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Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Scheiterns?
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Mehr als 80 Prozent aller Start-up-Gründer würden auch nach einem Scheitern wieder einer selbständigen Tätigkeit nachgehen.
Und etwa jeder Fünfte hat bereits zwei oder mehr Unternehmen gegründet. Das meldet der Deutsche Startup Monitor 2015, initiiert vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. Eigentlich eine erfreuliche Nachricht. Der Haken dabei ist: Die positive Einstellung zum unternehmerischen Neustart ist leider nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Gründerinnen und Gründer in Deutschland.
Im Gegenteil: Die Angst vor dem unternehmerischen Scheitern hält immer noch viele Menschen in Deutschland davon ab, ein Unternehmen zu gründen. Genauer gesagt ist es u.a. die Angst vor der gesellschaftlichen Stigmatisierung des gescheiterten Unternehmers. Obwohl – und das ist in dem Zusammenhang bemerkenswert – die Deutschen eigentlich grundsätzlich eine positive Einstellung zum Thema Scheitern haben. Dies stellen Prof. Dr. Andreas Kuckertz vom Lehrstuhl für Unternehmensgründungen und Unternehmertum an der Universität Hohenheim und seine Kollegen in einer bundesweiten Befragung von 2.027 Bundesbürgern fest. Darin heißt es: „In der Summe erkennen knapp 80 Prozent der befragten Deutschen Misserfolge ganz allgemein als potenzielle Quelle zur Selbstreflexion und Rückbesinnung an und akzeptieren, dass Misserfolg auf lange Sicht gesehen zu positiven Ergebnissen führen könne.“ Nun könnte man meinen, dass sich dies auch auf das unternehmerische Scheitern bezieht. Doch dem ist nicht so: In derselben Studie haben dazu nur 15,5 Prozent der befragten Bundesbürger eine positive bzw. sehr positive Grundhaltung. 11,6 Prozent der Befragten haben in Bezug auf unternehmerisches Scheitern sogar eine überwiegend negative Einstellung, konstatieren die Hohenheimer.
Kein Pardon bei unternehmerischen Fehlern
Mit wenig Verständnis müssen gescheiterte Unternehmerinnen und Unternehmer vor allem dann rechnen, wenn die Ursachen für das Scheitern in ihren eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen liegen. Dazu gehören beispielsweise Probleme bei der Kundenakquise, die Suche nach Mitarbeitern oder auch das Fehlen eines funktionierenden Geschäftskonzeptes. „Dies wird von den Befragten nur bedingt toleriert und kann in der Folge zur Stigmatisierung des Gründers führen. Auch ein ‚einfach mal ausprobieren‘ wird scheinbar nicht als akzeptabler Grund für ein unternehmerisches Scheitern akzeptiert. Dabei ist genau diese spielerische und experimentelle Herangehensweise sinnvoll, um ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwickeln“, so Prof. Andreas Kuckertz“. Dennoch hätten gescheiterte Unternehmer eine zweite Chance verdient. Immerhin über 75 Prozent der deutschen Bevölkerung sind laut der Befragung tendenziell dazu bereit, einem gescheiterten Unternehmer eine zweite Chance einzuräumen. Unter dem Strich aber, würde der überwiegende Teil der Befragten aufgrund des Risikos von einem Schritt ins Unternehmertum abraten. Auffallend ist dabei allerdings, dass vor allem junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren hier eine tendenziell positivere Haltung einnehmen.
Ausnahme oder Trendwende? Kultur des Scheiterns in der Start-up-Szene
In der Tat sei bei den jungen Gründern insbesondere in der Digitalwirtschaft der Anteil an „Wiederholungstätern“ überproportional hoch, bestätigt Prof. Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Mitautor des European Startup Monitor 2015. „Wir haben in der digitalen Szene ein sehr junges und dynamisches Gründerklientel, so zwischen 20 und 30, die versuchen, ihr Glück zu machen. Die befinden sich noch in einer Lebensphase, wo sie schlicht und ergreifend noch über genug Zeit und Unabhängigkeit verfügen, einen zweiten, dritten Versuch zu starten, bevor familiäre oder andere Lebensverpflichtungen hinzukommen. Und da passt es einfach gut, dass die Digitalwirtschaft so unglaublich vielfältig und groß ist, so dass die Chance auf Neugründungen viel weitreichender ist als in anderen Bereichen.“
Eine weitere Rolle dürfte darüber hinaus die Finanzierung spielen: Start-ups werden in der Regel über Business Angels oder andere Investoren finanziert, die sich mit ihrem Kapital an den Unternehmen beteiligen. Es handelt sich also nicht um Darlehen, die die Gründerinnen und Gründer in jedem Fall zurückzahlen müssen. Bei einer Bruchlandung heißt es für die Kapitalgeber daher „mitgefangen, mitgehangen“. Anders als das Gros der Gründerinnen und Gründer haben Start-ups also keine Schulden im Rücken, die sie der Bank zurückbezahlen müssen – auch wenn sie gescheitert sind. Ein Neustart scheint damit – aus finanzieller Sicht – auf jeden Fall einfacher.
Der neue Blick aufs Scheitern
Die Bereitschaft, nach einer Bauchlandung wieder aufzustehen und weiterzumachen, sei aber vor allem auch eine Mentalitätsfrage, sagt Sascha Schubert. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups e.V. „Das ist ein bisschen so wie beim Surfen vom Brett zu fallen. Dann muss man halt wieder aufsteigen, wenn man Surfer sein will.“ Und darauf vorbereitet sein, dass man vom Surfbrett auch wieder ins kalte Wasser fallen kann, sei ergänzt. „Sie akzeptieren eben das Risiko“, sagt Mathias Härchen, Leiter Unternehmensförderung bei Industrie- und Handelskammer zu Köln: „Dazu gehört auch, nicht wegzuschauen, wenn Probleme auftreten und sich Hilfe zu holen, um das Ruder herumzureißen, womöglich auch rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. Anders als ‚klassische‘ Gründerinnen und Gründer, die alles auf eine Karte setzen und trotz aller Warnsignale ihr Unternehmen weiterführen. Aus Angst vor einer drohenden sozialen Stigmatisierung. Denn wer es nicht geschafft hat, ist hierzulande eben gescheitert und mit einem unauslöschlichen Makel im Lebenslauf versehen. Das bedeutet, viele nehmen lieber in Kauf, bis zum bitteren Ende weiterzumachen und womöglich einen Berg von Schulden anzuhäufen.“
Der neue und andere Blick auf das Thema Scheitern hängt für Prof. Tobias Kollmann nicht zuletzt mit der internationalen Denk- und Lebensweise der Start-ups zusammen. „Die Digitalwirtschaft macht nicht an irgendeiner Landesgrenze halt. Das heißt, wir haben hier ein internationales Umfeld, nicht nur was den Wettbewerb angeht. Wir sehen auch viele international zusammengesetzt Teams. Und für die bietet der angloamerikanische Raum mit Sicherheit viele Vorbilder. Nehmen Sie allein die bekannten Gründer der großen IT-Player. Sie zeigen fast alle, dass sie mehrere Anläufe gebraucht haben, bis es schließlich geklappt hat. Und sie zeigen auch, dass dies die Investoren nicht abgeschreckt hat. Im Gegenteil.“
Aus den Fehlern anderer lernen
Das besonders Bemerkenswerte sei inzwischen auch die Offenheit, mit der Betroffene über ihr Scheitern reden, so Sascha Schubert. „Das ist aber nur deshalb möglich, weil es nicht diese Verurteilung gibt: ‚Du bist schuld. Du bist ein Versager.‘ Dieses hämische Fingerpointing. Im Gegenteil, die Leute werden in ihrem jeweiligen Gründer-Ökosystem, sei es in München, Karlsruhe oder Berlin, auch wieder aufgefangen. Dort herrscht ein Klima, in dem man sich eben nicht nur über Gründungen austauscht, sondern auch darüber, was man tun muss, wenn man den Laden wieder dicht macht und neu starten will.“ Einen Schritt weiter gehen sogar noch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei den so genannten „Fuck up Nights“, die inzwischen in mehreren deutschen Gründer-Hot-Spots stattfinden. Hier erzählen Gründerinnen und Gründer, wie sie unternehmerisch gescheitert sind und verschaffen den Zuhörern wichtige Aha-Momente. Nach dem Motto: Aus Fehlern kann man lernen. Besser noch: aus den Fehlern anderer.
Sind das nun alles die Vorzeichen für eine Trendwende hin zu einer neuen Kultur des Scheiterns? Die Autoren der Hohenheimer Studie blicken bei aller Vorsicht positiv in die Zukunft und kommen zu dem Schluss, dass „die Chancen für eine neue Gründerzeit und einen positiveren Umgang mit Fehlern gut stehen – diese wird insbesondere durch die junge, weltoffene, gut ausgebildete und risikoaffine Generation etabliert werden.“ Die Autoren bezweifeln allerdings, dass diese Entwicklung ein Selbstläufer ist und haben ihrer Studie daher noch eine lange Liste mit praktischen Vorschlägen beigefügt. Sie sollen zeigen, wie sich Vorurteile und Intoleranz gegenüber gescheiterten Unternehmerinnen und Unternehmern in Deutschland abbauen lassen.
Weitere Informationen:
- KPMG (Hrsg.)
3.DSM Deutscher Startup Monitor 2015 - Kuckertz, A.; Mandl, C., Allmendinger M.
Gute Fehler, schlechte Fehler – wie tolerant ist Deutschland im Umgang mit gescheiterten Unternehmern?, Universität Hohenheim, 2015
Dieser Artikel stammt aus dem eMagazin "erfolghoch2" (Ausgabe Juni 2016) des Existenzgründerportals des BMWi. Hier finden Sie den Artikel.