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Klima retten mit System

© ForTomorrow

Was haben Quantenphysik und Klimaschutz miteinander zu tun? Für Ruth von Heusinger, Gründerin von ForTomorrow, war es der Wunsch, der Welt etwas zu hinterlassen, der sie antrieb. Schon als Schülerin vom Ernst der Klimakrise überzeugt, fand sie ihren Weg von der theoretischen Physik zu konkreten Lösungen für den Klimaschutz. Doch wie genau verändert ForTomorrow das Spiel im europäischen Emissionshandel? Und warum ist CO2-Reduktion allein nicht mehr genug? Im Interview mit StartGreen gibt Ruth Einblicke, wie sie mit ihrem Team den Weg in eine klimafreundliche Zukunft gestaltet – und was sie angehenden Gründerinnen und Gründern rät.

StartGreen: Ruth, du hast im Dezember 2019 ForTomorrow gegründet, doch dein Engagement für den Klimaschutz reicht weit zurück. Was hat dich motiviert, diesen Weg einzuschlagen?

Ruth von Heusinger: Schon in der Schulzeit hat mich die Klimakrise beschäftigt. Ich hatte einen sehr engagierten Lehrer, der mein Interesse geweckt hat. Deshalb habe ich Physik studiert mit theoretischem Schwerpunkt in der Quantenfeldtheorie und Urknallforschung. Aber die Klimakrise hat mich nicht losgelassen, vor allem, weil wir uns mit der aktuellen Erderhitzung von 1,3 Grad Celsius im langfristigen Mittel auf gefährlichem Terrain bewegen. Die Menschheit hat sich entwickelt, weil durch ein stabiles Klima Landwirtschaft möglich war. Heute katapultieren wir uns aus dieser sicheren Zone hinaus. Ich sehe es als meine Mission, noch Hoffnung zu bewahren und unsere Lebensgrundlage einschließlich vieler Insekten- und Pflanzenarten zu retten – physikalisch ist es nach wie vor möglich, die Erhitzung aufzuhalten.

StartGreen: Was war dein erster Ansatz, um gegen die Klimakrise aktiv zu werden?

Ruth von Heusinger: Mein erster Gedanke war, erneuerbare Energien auszubauen. Als ich bei einem Trainee-Programm in der Firma Statkraft angefangen habe, kam ich in Kontakt mit dem europäischen Emissionshandel. Das System, das CO2-Emissionen bepreist, hat mich fasziniert. Es funktioniert so: Die EU legt ein CO2-Budget fest, das nicht erweitert werden kann, und versteigert Emissionsrechte. Diese können dann gehandelt werden wie eine Ware. Ein Emissionsrecht berechtigt zum Ausstoß von einer Tonne CO2. Unternehmen, die Emissionen ausstoßen, müssen Rechte kaufen, und die verfügbareMenge an Rechten wird ständig reduziert – wie eine „Reise nach Jerusalem“. Dadurch wird der Transformationsdruck auf die Wirtschaft erhöht.

StartGreen: Welche Rolle spielt ForTomorrow in diesem System?

Ruth von Heusinger: Unsere Idee entstand während meiner Elternzeit: Wir wollten den Emissionshandel für die Allgemeinheit zugänglich machen, um direkt hier in Europa den CO2-Ausstoß zu reduzieren. ForTomorrow kauft Emissionsrechte vom Markt, löscht sie und reduziert so direkt die Menge an CO2, die in der EU ausgestoßen werden kann. Das hat einen dreifachen Effekt: Zum einen wird weniger CO2 ausgestoßen. Für jedes Emissionsrecht, dass wir mit ForTomorrow kaufen, wird eine Tonne weniger CO2 emittiert. Zum anderen wird der Marktpreis für CO2 erhöht, was klimafreundliche Technologien wirtschaftlich attraktiver macht. Und zusätzlich fließen die Erlöse aus den versteigerten Rechten in Klimaschutzprojekte, da die Staaten dazu verpflichtet sind.

StartGreen: Aber ForTomorrow geht noch weiter, richtig?

Ruth von Heusinger: Ja, nur CO2-Reduktion reicht nicht mehr aus. Wir müssen CO2 aktiv aus der Luft holen. Neben dem Aufkaufen von Emissionsrechten setzen wir daher auf Renaturierungsprojekte. Deutschland hatte früher ca. 70 Prozent Waldflächen, heute sind es nur noch 32 Prozent – viele Gebiete werden für Tierfutteranbau genutzt. Durch den rückläufigen Fleischkonsum werden solche Flächen frei. Dort und auf anderen Brachflächen schaffen wir neue Wälder und setzen auf langfristige Renaturierung über Zeiträume von 80 Jahren.

StartGreen: Welche Hindernisse siehst du beim aktuellen Klimaschutz?

Ruth von Heusinger: Ein großes Problem ist, dass nicht alle Emissionen in das Handelssystem einbezogen sind – selbst in Europa. Dennoch sehe ich Fortschritte: Die EU hat Sicherheitsmechanismus eingeführt, zum Beispiel den CO2-Grenzausgleich. Das bedeutet, dass importierte Produkte denselben CO2-Preis zahlen müssen wie solche, die in der EU produziert werden. Länder wie China haben ebenfalls einen Emissionshandel eingeführt und diesen verschärft, damit er von der EU anerkannt wird.

StartGreen: Wie sieht eure Arbeit bei ForTomorrow praktisch aus?

Ruth von Heusinger: Wir bieten eine mobil optimierte Plattform, auf der Privatpersonen und Unternehmen ihren CO2-Ausstoß in Europa ausgleichen können – als Einzelspende oder monatlich mit einem Klima-Abo. Gleichzeitig leisten wir viel Öffentlichkeitsarbeit, weil „gute Arbeit alleine“ nicht reicht. Man muss sich zeigen, Vorträge halten, Netzwerke nutzen und Medienarbeit machen, um Menschen zu informieren.

StartGreen: Du bist auch Investorin. Was ist dir dabei wichtig?

Ruth von Heusinger: Ich investiere frühphasig in nachhaltige Start-ups. Werte und Persönlichkeit sind entscheidend. Es gibt nicht die eine Lösung, sondern viele Puzzleteile. Für mich ist die Klimakrise auch eng mit Geschlechtergerechtigkeit verbunden. Deshalb investiere ich in diese Themen.

StartGreen: Was rätst du Gründerinnen und Gründern, die ähnliche Projekte starten wollen?

Ruth von Heusinger: Mein erster Tipp ist, ein starkes Netzwerk aufzubauen, etwa durch Accelerator-Programme wie die Impact Factory, die mir sehr geholfen hat. Zweitens sollte man die Bedürfnisse der Menschen verstehen – das haben wir durch viele Interviews vor der Gründung herausgefunden und machen wir kontinuierlich weiter. Unser Abomodell kam direkt aus dem Feedback von Klimaschutz-Interessierten. Drittens: Anfangs viel ehrenamtliche Unterstützung suchen und staatliche Förderungen wie den IBB-Gründungsbonus nutzen.

StartGreen: Welche Herausforderungen siehst du für Gründerinnen und Gründer?

Ruth von Heusinger: Zeitmanagement und Delegation sind entscheidend. Es war für mich anfangs schwer, Verantwortung abzugeben und damit umzugehen, dass andere Dinge anders machen als ich. Und Fehlerkultur ist enorm wichtig: Wir befinden uns in einer massiven Transformation. Das etwas schiefgeht ist Teil des Lernens und kein Grund, mit der Vergangenheit zu hadern.

StartGreen: Was treibt dich persönlich an?

Ruth von Heusinger: Die nachfolgenden Generationen, zum Beispiel meine Kinder. Sie sind jetzt sieben und neun Jahre alt, und ich möchte alles tun, um ihnen eine gute Welt zu hinterlassen. Ich arbeite oft abends, um tagsüber Zeit mit ihnen zu verbringen. Mein Mann und ich teilen uns die Familienarbeit gleichberechtigt – ohne diesen Rückhalt wäre das alles nicht möglich.

StartGreen: Was ist deine Vision?

Ruth von Heusinger: Ich möchte, dass alle Menschen dank ForTomorrow eine sichere und einfache Möglichkeit haben klimafreundlich zu leben und zu wirtschaften. Zusätzlich möchte ich mit Hanami Ventures ein Investmentportfolio aufbauen, das 1,5-Grad-kompatibel ist, und über mein ehrenamtliches Engagement im Vorstand des Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft den gesellschaftlichen Wert von Klimaschutz stärker in die öffentliche Debatte bringen. Klimaschutz ist kein isoliertes Thema, sondern ein Puzzlestück, das Gendergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und Innovation umfasst.

Ruth von Heusinger – Physikerin, Gründerin und Klimaschützerin

Ruth von Heusinger ist Diplom-Physikerin mit einem Schwerpunkt in Quantenfeldtheorie und Urknallforschung. Bereits während ihrer Schulzeit entwickelte sie eine Leidenschaft für Klimaschutz, inspiriert durch einen engagierten Lehrer. Nach Stationen in der Industrie, unter anderem im europäischen Emissionshandel, gründete sie 2019 die gemeinnützige Organisation ForTomorrow. Ihr Ziel: Klimaschutz für alle zugänglich zu machen und durch innovative Ansätze wie die Löschung von CO2-Emissionsrechten und Renaturierungsprojekte konkrete Beiträge zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten.
Von Heusingers Philosophie basiert auf physikalischem Realismus und tiefem Optimismus: Sie ist überzeugt, dass es technisch möglich ist, die Erderhitzung aufzuhalten – wenn wir mutig handeln. Dabei betont sie die Notwendigkeit einer gesunden Fehlerkultur, gesellschaftlichen Zusammenhalts und den Wert langfristiger Lösungen.
Ruth von Heusinger engagiert sich ehrenamtlich für den Klimaschutz, finanzierte den Aufbau von ForTomorrow durch ein Erbe und baut nebenbei ein 1,5-Grad-kompatibles Investmentportfolio auf. Ihr Handeln verbindet sie mit einer klaren Vision: Eine lebenswerte Welt für kommende Generationen zu sichern.
https://www.fortomorrow.eu/

StartGreen ist das Online-Informations- und Vernetzungsportal für die grüne Gründungsszene in Deutschland. Hier informiert und vernetzt sich die grüne Gründungsszene (grüne Gründerinnen und Gründer, grüne Start-ups, grüne Investorinnen und Investoren und Finanzierende, nachhaltig orientierte Gründungszentren u.v.m.) um ihr Wissen und ihre Erfahrungen auszutauschen.

Dieses Projekt wurde gefördert durch
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